Montag, 3. Februar 2020. Noch auf dem Weg vom Krankenhaus nach Hause, schreibe ich eine SMS an einen Freund, der im Beerdigungsinstitut arbeitet. „Hallo Oskar*, Lotti ist heute Nachmittag gestorben. Wir sind gerade auf dem Weg nach Hause. Kannst du uns sagen, was wir jetzt genau machen müssen?“ Seinen Anruf verpasse ich. Er schreibt, dass er sich um alles kümmere und wir jederzeit telefonieren können. Der Große ist bei meinen Eltern. Dort holen wir ihn ab. Sobald wir in der Tür stehen, wissen alle Bescheid. Der Große fragt nach Lotta. Wir erklären ihm, dass sie sich für den Himmel entschieden hat und nun bei Uroma ist. „Ok“, sagt er und zeigt uns stolz seine gebauten Lego-Fahrzeuge. Die Freude darüber, dass ich wieder da bin ist erstmal größer als alles andere.
Dienstag. Am Tag danach treffen wir uns mit Oskar im Beerdigungsinstitut. Es fällt mir schwer zu reden. Wir besprechen unsere Möglichkeiten und die weiteren Schritte: Termin für die Beisetzung und Trauerfeier, Sarg, Einäschern, Urne, Grab, Familiengrab, Trauerfeier, Liebfrauenkirche, persönliche Verabschiedung der Trauergäste mit Kerzen, Foto von Lotta, Blumen, Beisetzung im kleinen Kreis, bunte Luftballons, Kaffeetrinken danach, Kostenrahmen, Möglichkeit nochmal Abschied zu nehmen.
Einige Entscheidungen die wir in dem Gespräch treffen, ändern wir kurz darauf wieder. Nicht aber, dass wir Lotta zwei Tage später ein letztes Mal sehen wollen. Oskar sagt, dass er Lotta gleich persönlich abholen werde. Kurze Zeit später erhalten wir die Nachricht: „Lotta ist jetzt hier bei uns“. Oskar kennt uns und es ist sehr schön und irgendwie beruhigend, dass er und kein Fremder sich um Lotta kümmert.
Mittwoch. Juli bringt den Großen in den Kindergarten. Die Kinder fragen den Großen sofort: „Stimmt es, dass deine Schwester gestorben ist?“ Ein Kind fragt: „Ist Lotta jetzt im Himmel?“ Ein anderes Kind antwortet: „Wenn man an den Himmel glaubt, dann ist man im Himmel.“ Der Große kommentiert das ganze nur knapp und beginnt seinen normalen Kindergarten-Alltag. Im Eingangsbereich der Kita steht eine Kerze, zusammen mit einem Foto von Lotta. Später liegen dort noch bunte Herzchen, auf die Eltern und Kinder Wünsche für Lotta schreiben können.
Wir bestellen im Blumenladen Streublumen fürs Grab und besprechen die Farben und Blumen des Kranzes, der um die Urne gelegt werden soll. Erst hatten wir an etwas ganz buntes gedacht, aber vor Ort entscheiden wir uns für zarte Farben, ein bisschen verspielt. So war Lotta und um es vorweg zu nehmen, das Ergebnis passte perfekt zu ihr. Oskar bestätigt uns im Laufe des Tages, dass die Trauerfeier am 13. Februar stattfinden kann und wir informieren unsere Familien. Gleichzeitig bieten wir an, dass wir Lotta Briefe, Fotos oder anderes Persönliches mit in den Sarg legen können.
Donnerstag. Es klingelt immer wieder an der Tür. Nach und nach bringen Freunde und unsere Familie Dinge für Lotta vorbei. Lottas Patentante hat einen Kuchen gebacken. Wir trinken Kaffee und essen Kuchen, erzählen, lachen und weinen zusammen, sodass wir fast zu spät ins Beerdigungsinstitut kommen.
Wir betreten den Abschiedsraum. Es ist ein sehr warmer Raum. Kerzen brennen. Auch Lottas Taufkerze brennt. Der kleine weiße Sarg steht in der Mitte des Raumes. Darum ein paar Stühle. Lotta liegt noch nicht drin. Eine große Tasche voll mit Briefen, Fotos und anderen Dinge für Lotta stellen wir auf einen Stuhl. Dazu haben wir noch ihre Anziehsachen, Fotos, ein gemaltes Bild von Henri, ein Püppchen und ihre Bettschlange mitgebracht. Nachdem wir uns gesammelt haben sagt Oskar: Dann hole ich jetzt Lotta.
In meiner Vorstellung wird Lotta auf irgendeinem Tisch reingeschoben, aber Oskar kommt in den Raum und hält sie im Arm. Sie ist eingewickelt in eine Kuscheldecke vom Krankenhaus. Er fragt, ob wir sie halten möchten. Ich nehme Lotta auf den Arm. Oskar legt noch ihre Bürste, die wir im Krankenhaus liegen gelassen hatten und eine Mullwindel, die wir Lotta im Krankenhaus um den Kopf gelegt hatten, auf einen kleinen Tisch und lässt uns alleine. Sie ist eiskalt, aber sie sieht so schön aus, friedlich und viel schöner als am Montag. Die Lippen sind wieder zart und nicht mehr blau. Ihre durch den Tubus verletzte Nase, sieht auch besser aus.
Ich habe nicht gedacht, dass ich sie noch einmal halten werde und doch tue ich es. Ich halte sie ganz fest, setze mich hin und streichle ihr über die Haare. Meine Tränen tropfen in ihr Gesicht. Dann nimmt Juli sie in den Arm. Er kuschelt mit ihrem Gesicht. Ich sitze da und schaue ihm zu. Dann gibt er mir Lotta zurück. Wir sitzen nebeneinander und halten sie beide lange fest, bis Oskar wieder kommt. Ich lege Lotta in den Sarg und wir beginnen sie aus- und wieder anzuziehen.
Es ist unwirklich. Das ist unsere kleine Lotta. Jetzt, mit ihren eigenen Anziehsachen, sieht sie auch wieder wie unsere Lotti aus. Ich kämme ihre Haare, um sie kurz darauf wieder zu strubbeln. Lottas Haare waren immer ein bisschen durcheinander. Sie liegt flach auf dem Rücken. Irgendwas stimmt nicht. Lotta lag ganz selten auf dem Rücken. Eigentlich nur im Krankenhaus. Von alleine hat sie sich immer auf ihre rechte Seite gedreht. Das war ihre Lieblingsseite. Wir nehmen die Bettschlange und legen sie genauso wie es ihr gefallen hätte. Dann legen wir ihr nach und nach ihre Erinnerungsstücke in den Sarg. Als wir damit fertig sind, lässt Oskar uns alleine. Ich halte meine Hand auf ihren Kopf. Juli hält ihre Hand und wir schauen sie an, bis wir uns ein allerletztes Mal von ihr verabschieden und den Raum verlassen.
Vor einigen Monaten habe ich einen Artikel einer Familie mit einem behinderten Mädchen gelesen. Das Mädchen hieß Emma und war zwölf Jahre alt. Sie wollte irgendwann einfach nicht mehr essen und ihre Medikamente nehmen. Ihre Mama kämpfte dafür, dass der Wille ihrer Tochter akzeptiert wird. Emma ist sieben Wochen später gestorben. In dem Artikel beschreibt die Mutter wie die Familie sich von Emma verabschiedet hat. Es war sehr traurig, beeindruckend und schön. Ich weiß nicht, ob ich mich getraut hätte Lotta noch einmal im Beerdigungsinstitut fertig zu machen oder selber in den Sarg zu legen, ohne diesen Artikel gelesen zu haben. Und ich bin so dankbar dafür.
*Name geändert
Ihr lieben,mein Gott seid ihr stark und so wie ihr es gemacht habt war es richtig, die kleine Maus sitzt nun auf einem wunderschönen Stern und schaut auf euch herab.Liebe Grüße Marion und Norbert ❤️
Es war eine tolle Verabschiedung, Lottas Karte ist Wunderschön! Danke euch, dass ich dabei sein durfte
Sehr schön geschrieben. Das erlebte ist immer schwerer als die geschichte die das leben schreibt.
Seid 2016 wo mein sohn ging… viel zu früh, habe ich nicht mehr geweint. Bis zu diesen schönen zeilen.
Sternenkinder sein eigen nennen zu können ist eine schwere bürde und kinder lernen uns erwachsene, damit richtig um zugehen.
Danke für dafür.
Lieben gruss und mein mitgefühl
Simon
Eure wundervolle Art Lotta zu verabschieden berührt mich zutiefst. Es wirkt auf mich sehr liebevoll und doch so voller Kraft. Ich wünsche euch und dem großen Bruder, dass ihr auf diese Art euer weiteres Leben gestalten könnt. Euer Sternenkind wird die Nacht erhellen.
Mein aufrichtiges Mitgefühl Martina Kohlmeier
Tausend Dank an Euch für die bezaubernde Karte von Lotta. Und tausend Dank, dass ihr uns an Lottas Reise teilhaben lasst.
Lotta wird vom Himmel schauen und sich freuen, dass Sie in eine solch tolle Familie geboren wurde.
Ihr lieben, ich bin gerade in Tränen ausgebrochen.
Ich bewundere euch so sehr, die Kraft die ihr habt um das alles zu bekämpfen.
ich habe selber noch keine Kinder aber Kinder sind das schönste im Leben und ich glaube auch das Lotta ein wunderbarer Engel jetzt ist und über euch wacht.
Mein aufrichtiges Mitgefühl
Liebe Grüße Patricia