Es ist Sonntag, der 12. Januar 2020. Unser Großer und Lotta sind krank. Beide haben sehr hohes Fieber.
Die Angst um Lotta ist groß, sobald ich die Zahl 40 auf dem Fieberthermometer sehe. Ich nehme sie in den Arm und tanze langsam durchs Wohnzimmer. Wir geben alle paar Stunden fiebersenkende Mittel. Lotta mag nichts mehr trinken und essen.
Montagmittag bringen wir beide Kinder zur Kinderärztin. Sie vermutet, dass der Große Influenza hat. Lotta bekommt Blut abgenommen. Ihre Entzündungswerte sind hoch. Wir entscheiden mit Lotta ins Krankenhaus zu gehen. Die Station ist sehr voll. Da aber die Kinderärztin vorher angerufen hat, bekommen wir ein Zimmer. Zwei liebe und bekannte Schwestern empfangen uns herzlich mit offenen Armen. Damit Lotta sich nicht irgendwo ansteckt, bekommen wir ein Einzelzimmer. Sie erhält Infusionen, da sie bereits ausgetrocknet ist.
Am Abend verschlechtert sich ihr Zustand. Die Entzündungswerte sind sehr hoch und obwohl sich die Lunge frei anhört, benötigt sie Sauerstoff. Ein Röntgenbild bestätigt, was der Oberarzt vermutet. Lotta hat eine Lungenentzündung und bekommt Antibiotika und Inhalationen.
Dienstag ist Chefarzt-Visite. Alle Ärzte und Schwestern kommen mit Kittel, Mundschutz und Handschuhen ins Zimmer. Lotta wurde positiv auf Influenza getestet, trotz Impfung und Immunglobulinen. Ab sofort sind wir isoliert.
Mittwoch geht es ihr noch schlechter. Sie schläft den ganzen Tag und der Sauerstoffbedarf steigt. In der Nacht höre ich sie seltsam atmen. Ich kenne das Atmen. Auch wenn es schon ein Jahr her ist, dass sie den letzten Krampfanfall hatte. Lotta krampft eine halbe Minute und hört wieder auf, dann krampft sie weiter. Ich filme und klingele nach der Schwester. Sie geht wieder raus. Ich warte auf den Arzt oder eine Reaktion zehn Minuten, 15 Minuten, 20 Minuten. Die Zeit vergeht schnell. Irgendwann nach über einer halben Stunde klingele ich wieder. Ich bitte sie darum ihr Diazepam oder irgendetwas Krampflösendes zu geben. Es war ein Missverständnis und sie hatte niemandem Bescheid gesagt. Sofort kommt ein Arzt. Lotta bekommt Diazepam. Es wirkt nicht, sie krampf weiter. Sie bekommt ein anderes krampflösendes Medikament über die Vene. Sie entspannt sich und schläft ein.
Donnerstagmorgen – Lotta schläft noch. Ich gehe früh duschen, damit ich mich danach in Ruhe um sie kümmern kann. Die Ärztin kommt zur Visite. Ich sage ihr, dass es Lotta von Tag zu Tag schlechter geht und ich bitte darum nochmal ein Blutbild oder irgendetwas zu machen. Lotta schläft weiter. Die Ärztin stimmt mir zu und möchte sich mit ihrer Oberärztin abstimmen. Sie verlässt das Zimmer.
Kurz darauf bekommt Lotta blaue Lippen die Sauerstoff-Sättigung fällt. Der Monitor schlägt Alarm. Ich klingele und stehe an ihrem Bett. Es ist kein Fehlalarm. Ich laufe zur Zimmertür und rufe nach den Schwestern. Sie stehen schon vor der Tür und schnappen sich Lotta. Innerhalb kürzester Zeit stehen viele Ärzte und Schwestern im Zimmer. Lottas Herz schlägt nicht mehr. Einer der Ärzte macht eine Herzdruckmassage. Ich stehe am Waschbecken in der Ecke und sehe zu wie das Team versucht Lottas Leben zu retten. Jemand bringt den Rea-Wagen. Eine Intensivschwester wird gerufen. Einer der Ärzte gibt Anweisungen was gemacht wird, welches Medikament wann gespritzt wird.
Ich schaue über Lotta hinweg raus in den Himmel. Die Sonne scheint. Es ist ein schöner Tag. Ich denke daran, dass Juli gerade bei unserem Großen ist. Der Große bekommt heute in Vollnarkose die Paukenröhrchen gezogen und die Trommelfelle verschlossen. Ich höre wie einer der Ärzte nach dem Knochenbohrer ruft. Eine Schwester fragt mich, ob sie jemanden anrufen soll. Dann steht eine Psychologin neben mir. Sie fragt, ob ich raus gehen möchte. Aber ich kann nicht weg. Sie sagt, das ist ok. Es wird ruhiger. Der Arzt, der den Ton angegeben hat kommt zu mir und sagt, dass Lottas Lunge vermutlich kollabiert ist und sie jetzt erstmal auf die Intensivstation verlegt wird. Sie wird rausgeschoben und ich stehe immer noch am Waschbecken. Die Psychologin fragt mich, was ich möchte. Ich möchte zu Lotta. Das Team ist einverstanden und wir gehen hinterher.
Lotta liegt in Zimmer Nummer vier. Ich kenne das Zimmer. Hier lag Lotta im November 2018, als bei ihr die Enzephalitis festgestellt wurde. Auch da waren wir isoliert.
Durch die Reanimation hat Lotta einen Erguss im Herzen. Das Herz arbeitet ansonsten gut. Ihre Blutgerinnung funktioniert nicht richtig und sie bekommt Bluttransfusionen. Sie muss beatmet werden und damit sie sich nicht gegen den Tubus wehrt, wird sie sediert. Sie bekommt einen zentralen Venenkatheter in die Leiste gelegt. Wir hatten großes Glück, dass so schnell so viele tolle und erfahrene Ärzte und Schwestern da waren. Ich schaue auf die Uhr. Jetzt liegt unser Großer gerade auf dem OP-Tisch. Ich kann Juli nicht anrufen. Ich muss warten.
Die Psychologin steht noch immer neben mir und fragt mich, ob sie etwas für mich tun kann. Sie sagt mir, dass ich Lotta ruhig anfassen kann und mir ihr sprechen soll. Irgendwann sind wir angekommen, Lotta und ich. Es ist fast 11:30 Uhr. Der Große und Juli müssten jetzt fertig sein. Mein Handy liegt noch im Zimmer auf Normalstation.
Ich gehe runter, rufe Juli an und sage ihm, dass Lotta reanimiert werden musste und nun auf der Intensivstation liegt. Er ist im Auto, auf dem Weg nach Hause. Unser Großer sitzt mit im Auto. Er antwortet nur knapp und sagt er komme sofort. Julis Mama passt auf den Großen auf. Mein Handy zeigt noch weitere Anrufe in Abwesenheit. Mein Papa hat versucht mich zu erreichen. Ich atme tief durch und rufe zurück und auch meine Schwester rufe ich an, während ich unsere Sachen zusammenpacke. Plötzlich klopft es und der Neurologe steht vor der Tür. Wir sprechen kurz und verabreden uns in den nächsten Tagen nochmal zu sprechen. Bevor ich das Zimmer verlasse, stehen zwei unserer Schwestern vor der Tür. Sie drücken mich und wünschen uns viel Kraft.
Mein Gott wie furchtbar. Unser Beileid